Ein Beitrag von
Brian Gibson
Technische Universität Berlin
Kontaminationen mit diastatisch aktiven Hefen sind in den letzten Jahren angestiegen, Hand in Hand mit der wachsenden Beliebtheit von Bieren wie Pale Ales und IPAs. Eine Nachgärung im Gebinde führt oft "nur" zu höherem Alkoholgehalt, Fehlaromen oder Gushing, im Extremfall aber zu Bombagen von Behältern aufgrund von CO2-Bildung. Dr. Nerve Zhou von der Botswana International University of Science and Technology und Prof. Brian Gibson von der Technischen Universität Berlin sind zusammen mit anderen Forschern der globalen Population diastatisch aktiver Hefen auf der Spur.
Veröffentlicht am 06/02/2025
Ein Beitrag von
Brian Gibson
Technische Universität Berlin
Das aus dem SGA1-Gen und Abschnitten des FLO11-Gens hervorgegangene STA1-Hybridgen
Auch Dr. Mathias Hutzler vom Forschungszentrum Weihenstephan hat das Phänomen ansteigender diastatischer Hefekontaminationen im letzten Jahrzehnt beobachtet.
Er führt Sekundärkontaminationen während des Füllvorgangs als möglichen Grund an. Bei schlechter Hygiene können Biofilme Hefen des Stamms S. cerevisiae beherbergen.
Ebenfalls sind einige am Markt erhältliche Kulturhefestämme diastatisch aktiv, z. B. belgische Saison-Stämme. Deshalb sollten alle Kulturhefen auf ihre diastatischen Eigenschaften überprüft werden. Auch weitere Zutaten wie Zucker, Gewürze oder Hopfen sollten mikrobiologisch überwacht oder präventiv antimikrobiell behandelt werden.
„Diastatisch“ bezieht sich auf die Fähigkeit der Hefen, lösliche Stärke oder Dextrin abzubauen, die Folge der Anwesenheit des hybriden Gens STA1. Es entstand über eine Mutation aus einem Gen, das für die Erzeugung eines Glucoamylase-Enzyms verantwortlich ist und einem Flockungsprotein aus der Hefezellwand. Das Hybridgen STA1 kombiniert diese Eigenschaften und kodiert ein Glucoamylase-Enzym, das extrazellulär aktiv ist.
Für Hefen stellte dieses neue Gen einen Wettbewerbsvorteil dar, denn es sicherte Zugang zu reichlich vorhandenen Kohlenstoffquellen, die eine normale Brauhefe nicht verwerten kann.
Die Industrie kämpft mit dem Problem
Diastatische Hefen stellen eine Reihe von besonderen Herausforderungen dar. Das langsame Wachstum der Hefe macht Verunreinigungen schwer zu entdecken, möglicherweise erst mehrere Wochen nach der Herstellung des Biers und der Auslieferung.
Herkömmliche Labortests sind zeitaufwändig und liefern oft unzuverlässige Ergebnisse, weil z. B. PCR-Tests nicht zwischen aktiven und inaktiven Stämmen unterscheiden.
In letzter Zeit weiterentwickelte Genom-Analysetools stellen aber nun bessere Möglichkeiten zum Nachweis diastatischer Hefestämme zur Verfügung.
Dr. Kristoffer Krogerus, VTT Technical Research Centre of Finland, verwendet diese Techniken, um neue Nachweiswerkzeuge zu entwickeln: „Brauhefen und diastatische Hefen gehören zur gleichen Art, Saccharomyces cerevisiae. Nach Sequenzierung des STA1-Gens konnten wir molekulare Nachweismethoden entwickeln.
Dazu gehören PCR-Verfahren, die heute industrieweit eingesetzt werden. Da alle Genome diastatischer Hefen mittlerweile sequenziert sind, wurde es möglich, weitere DNA-Sequenzen, die spezifisch für diese Hefen sind, zu identifizieren. […]“
Dr. Krogerus führt weiterhin aus, dass diese Hefen, die die Brauwirtschaft immer noch salopp als Saccharomyces diastaticus bezeichnet, tatsächlich Stämme von S. cerevisiae sind, also letztlich Kulturhefen aus Brauerei und Bäckerei.
Dr. Krogerus führt aus: „Diastatische Hefen gehören zu einer Bierhefepopulation, die ‚Mosaisches Bier‘ oder ‚Bier 2‘ genannt wird. Die meisten Stämme dieser Population sind diastatisch und werden als Produktionsstämme eingesetzt, wie z. B. für Saisonbiere.“
Fand nun zuerst die STA1-Mutation statt und führte zur Bier-2-Hefefamilie? Oder fand die STA1-Mutation erst nach genetischer Abspaltung der Bier-2-Guppe statt? Und: Können auch die stark domestizierten diastatischen Brauhefen in wilden Populationen außerhalb von Brauereien existieren? Weinhefe z. B. kann das, sie hat Überlebensstrategien entwickelt, um unabhängig von der kurzen Weinherstellungsperiode zu überleben.
Marula-Frucht und Verarbeitung der Frucht für die traditionelle Fermentation im südlichen Afrika (links) und Früchte von Grewia flava und Khadi-Brauerei in Botswana (rechts)
Es scheint, als ob die letzte Frage mit „Ja“ zu beantworten sei. Die weltweite Suche nach wilden Isolaten brachte an verschiedenen Orten überraschende Ergebnisse.
Auf den Früchten des Marula-Obstbaums Sclerocarya birrea der Unterart caffra in ganz Botswana, die zur Produktion eines alkoholhaltigen Getränks genutzt werden, siedeln diastatische Hefen.
Khadi, ein weiteres lokales, fermentiertes Getränk auf Fruchtbasis, wird aus den wildwachsenden Grewia-flava-Früchten und Haushaltszucker hergestellt. Das Getränk enthält ebenfalls diastatische Hefen.
Dr. José Paulo Sampaio von der Nova University Lisbon, Portugal, untersuchte die Marula- und Khadi-Hefestämme aus Botswana.
Dr. Sampaio: „Um diastatische Hefen zu charakterisieren, bestimmten wir das komplette Genom dieser Hefen. Damit können wir gewisse Eigenschaften wie ihre diastatische Aktivität vorhersagen.
Diastatische Stämme haben zwei Hauptsignaturen: die Anwesenheit des STA1-Gens und die Anwesenheit der gesamten Promotorregion des Gens. Dieses Gen, gemeinsam mit seiner Promotorregion, ermöglicht es den Stämmen, Stärke und Oligosaccharide in Bier abzubauen, die ansonsten von den Hefen nicht verwertet werden würden.“
Die unerwarteten Ergebnisse: „Wilde diastatische Stämme und Bierverderber sind erstaunlicherweise sehr eng miteinander verwandt und kaum voneinander zu unterscheiden. Wir denken, dass Bierkontaminanten aus Brauereien entkamen und jetzt als verwilderte Variante in freier Natur leben.“
Die Ergebnisse der Analysen sind für die Braubranche wichtig, denn durch An- oder Abwesenheit von STA1 lassen sich bislang ununterscheidbare Stämme von S. cerevisiae nun unterscheiden.
Wie kamen diese verwilderten Brauhefen in eine solch – von einem europäischen Blickwinkel aus betrachtet – exotische Gegend? Wurde das Verwildern wie in Südafrika dadurch gefördert, dass dort spontane Gärung noch die Norm, nicht die Ausnahme ist? Wie weit verbreitet sind sie? Haben sie eine der konventionellen Weinhefe ähnliche Lebensweise?
Dr. Frederico Magalhães, Forscher an der Technischen Universität Berlin, widmet sich einiger dieser Fragen. Gemeinsam mit dem Nerve-Team in Botswana haben Dr. Magalhães und die Studentin der Brauwissenschaft Sarah König die Braueigenschaften von zwei diastatischen afrikanischen Isolaten und ebenfalls andere afrikanischer Isolate von S. cerevisiae gegenüber den üblichen Braustämmen bewertet.
Dr. Magalhães: „Unsere Ergebnisse bestätigen, dass diese Stämme die genetischen Ressourcen haben, um Würzezucker zu verwerten. Sie erreichen sogar höhere Endvergärungsgrade als normale Brauhefen. Der Gärungsbeginn wilder diastatischer Hefen ist allerdings deutlich verzögert und es dauert einige Tage länger, um vergleichbare Vergärungsgrade zu erreichen. Die Gründe hierfür sind noch unbekannt.“
Seit langem ist bekannt, dass für Saisonproduktionen eingesetzte Brauhefen (also Stämme der Gruppe Bier 2) diastatisch sind. Diese Eigenschaft ist für das charakteristische, trockene Mundgefühl von Saisonbieren wichtig. Können aber die in Brauereien als Kontaminanten vorkommenden diastatischen Hefen mit Erfolg als Produktionsstämme eingesetzt werden?
Genau dieser Idee gingen Dr. Mathias Hutzler und Kollegen in Weihenstephan nach. Dr. Hutzler führt aus: „Wir haben ca. 20 Stämme diastatischer S. cerevisiae zum Brauen eingesetzt. Die Hälfte davon produzierte wirklich gute Biere mit einem entsprechenden Aromaprofil. Damit lassen sich POF-positive Biere herstellen, nämlich Weizenbierstile oder belgische Stile. Sie sind stark vergoren, haben einen trockenen Körper und ein leicht zitrusartiges Aroma.
Einige dieser Biere haben eine fantastische Schaumkrone. Für einige Spezialstile ist es sicherlich möglich, aus Brauereien isolierte diastatische Hefe einzusetzen. Allerdings müssen Kontaminationen in den Brauereien unbedingt vermieden werden. Die beste Lösung wäre eine getrennte und ausschließliche ‚diastatische Brauerei‘ für diese Biere.“
Dr. Grijalva Vallejos forscht an der Universidad Tecnica del Norte, Ecuador über die Mikrobiologie des traditionellen Getränks Chicha aus dem Andenraum: „[…] Mehrere Hefen in verschiedenen Chicha-Substraten haben nachweislich Eigenschaften, die für die Getränkewirtschaft interessant sind, unter anderem Toleranz gegenüber verschiedenen Stresssituationen, Enzymaktivität, Bildung von Stoffwechselprodukten und Gärfähigkeit. In aktuellen Projekten zur Standardisierung des Gärprozesses von Chicha isolierten wir Hefen von handwerklichen Gärungen und fanden diastatische Hefen mit starker Enzymaktivität. Es ist hier durchaus üblich, das Geläger vorheriger Gärungen wieder zu verwenden. Bei den Gärgefäßen handelt es sind üblicherweise um alte, vererbte Tongefäße. Dadurch werden Mikroorganismen, die in der Lage sind, das vorhandene stärkereiche Substrat zu verstoffwechseln, mehr oder weniger ‚recycelt’. Alle diese Prozesse könnten zu einer Art Domestikation geführt haben, und diastatische Hefen sind das Ergebnis davon.“
Es bleibt abzuwarten, wie diese lateinamerikanischen diastatischen Hefen (und die jüngst in Afrika erhaltenen Isolate) mit den Hefen, die üblicherweise als Kontaminanten in Brauereien vorliegen, verwandt sind. Offensichtlich ist jedoch, dass diastatische Hefen sowohl in unterschiedlichen ökologischen Nischen als auch in einem konventionellen Brauereiumfeld leben können.
Die erwähnten neuen Studien unterstreichen unseren Wissensmangel über Brauhefen. Insbesondere die erstmalige Entdeckung von Bierhefen, die als Kontaminanten in Brauereien oder als scheinbar verwilderte Organismen in der freien Natur überleben, ist bedeutsam und stellt unsere Vorstellung von Bierhefen als hochgradig domestizierte Organismen, die für ihr Überleben von den Brauern abhängig sind, in Frage.
Wenn wir lernen diese Hefen und ihre Lebensweise besser zu verstehen, können sie in Brauereien besser kontrolliert werden, was hoffentlich diastatische Hefekontaminationen senkt. Die Forschungsarbeiten in Botswana, Ecuador und Deutschland haben außerdem gezeigt, dass es offenbar viele Möglichkeiten gibt, diese Kontaminanten bzw. verwilderten Mikroorganismen als Produktionsstämme für neue und einzigartige Biere einzusetzen.
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